Im Märchen vom „Daumesdick“ der Brüder Grimm (KHM 37)¹ führt der Winzling zielsicher ein Fuhrwerk zum Holzplatz im Wald. Im Ohr des Pferdes verborgen, befiehlt der Kleine dem Gaul, wie dieser zu gehen hat, nämlich „jüh und joh! Hott und har!“. Der Däumling benutzt eine Sprache, derer sich Bauern, Kutscher und Fuhrleute bis ins 20. Jahrhundert bedienten, solange tierische Zugkraft landesweit gefragt war. Erwähnenswert sind in dem Zusammenhang auch kindersprachliche Ausdrücke wie „Hotto“ und „Hottehü“ 'Pferd' sowie „Hottepferd“.
Was es mit den an Zugtiere gerichteten Worten (Interjektionen) auf sich hat, verraten die Grimms in ihrem „Deutschen Wörterbuch“². „Hott!“ wird als aufmunternder Zuruf, häufiger aber als Aufforderung, nach rechts zu gehen, erklärt. Die Herkunft des Wortes ist unsicher. „Har!“ ist das Gegenwort; der Zuruf ließ die Pferde nach links gehen, 'her' zur Seite des gewöhnlich links neben dem Gespann einherschreitenden bzw. auf dem linken Sattelpferd sitzenden Fuhrmanns. Zum Halten brachte der seine Tiere mit dem Zuruf „brrr!“; dies war meist noch mit einem Anziehen der Zügel verbunden, wie überhaupt ein Ziehen an der linken bzw. der rechten Leine dem jeweiligen Kommando Nachdruck verlieh.
Das „Kleine thüringische Wörterbuch“³ verzeichnet für den dortigen landschaftlichen Gebrauch neben „hott“ noch „hott(e)weg“ für die Richtungsänderung nach rechts bzw. „har“ und „har(e)weg“ für die Wendung nach links.
„Jüh!“ war ein Zuruf an die Tiere, anzuziehen und loszugehen, auch „jüh to! / jüh zu!“⁴ Es ist wohl als Imperativ von „gehen“ aufzufassen: „geh!“. Als Aufforderung, vorwärts zu gehen, war jedoch die Form „hü!“ verbreiteter, im Thüringischen „hüa!“, begleitet jeweils von einem kurzen Anschlagen der Leine. „Hü“ konnte zusätzlich 'nach links gehen' bedeuten, wie es noch in der Redensart „einmal hü und einmal hott sagen“ nachklingt. Für die Richtungsänderung nach links waren regional außerdem Kommandos wie „schwude!“, „hoh!“ ('her') oder „wist!“ (zu mittelhochdeutsch „winster“ 'links') gebräuchlich. Die Herkunft von „hü“, ältere Formen lauten „hist“ und „hüst“, ist nicht abschließend geklärt. ähnlich schwierig zu deuten ist des Däumlings „joh!“. Es könnte ein antreibender Zuruf an das Pferd sein, schneller oder aber vorwärts zu gehen, vergleichbar thüringisch „janeweg!“⁵, mit dem nach erfolgter Richtungsänderung nach links oder rechts der Fuhrmann sein Gespann wieder den „geraden Weg“ einschlagen ließ (zu „jan“ 'Reihe, gerade Linie' - bei der Feld- / Waldarbeit⁶).
© Dr. Norbert Nail (2012), Marburg a. d. Lahn.
P.S. Beim Besuch der Grimm-Gräber auf dem Alten St. Matthäus-Kirchhof in Berlin- Schöneberg am Nikolaustag des Jahres 2014 fanden sich kindliche Zeugnisse der Sympathie für die Märchen-Brüder - eines davon ein rührendes Zeichen gelebter Integration in diesem Lande.
1 Kinder- und Hausmärchen gesammelt durch die Brüder Grimm. Zeichnungen von Otto Ubbelohde. Mit einem
Vorwort von Prof. Dr. Ingeborg-Weber-Kellermann. Bd. 1. Wiesbaden 1970, S. 215-221 ( = Neudruck der Ausgabe
Marburg: Elwert, 1922).
2 Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Vierten Bandes Zweite Abtheilung. H. I. J. Bearbeitet
von Moriz Heyne. Leipzig 1877, Sp. 473 / 1844 / 1849 / 2339.
3 Karl Spangenberg: Kleines thüringisches Wörterbuch. Rudolstadt & Jena 1994, S. 125 / 136.
4 Vgl. Oekonomische Encyklopädie, oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- u. Landwirthschaft in
alphabetischer Ordnung; von D. Johann Georg Krünitz. 242 Bände (1773 bis 1858), s. v. „Hott!“ (online).
5 Vgl. Kleines thüringisches Wörterbuch, S. 144.
6 Vgl. Deutsches Wörterbuch IV/2, Sp. 2229.